VOM VERLUST DER ERSTEN EINSICHTEN. DIE SCHULDFRAGE IN DER DEUTSCHEN LITERATUR UNMITTELBAR NACH KRIEGSENDE UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DIE AUFARBEITUNG DER NS-GESCHICHTE IN DEUTSCHLAND
DOI:
https://doi.org/10.1344/AFLC2018.8.5Resum
Der Artikel bietet zunächst einen interpretativen Überblick über die wesentlichen Phasen der deutschen Aufarbeitung des 3. Reiches, bis hin zu jenem Erinnerungsboom in Literatur und Film, der Ende der Neunziger Jahre einsetzte. Dieser Boom ist einerseits gekennzeichnet durch eine extreme Kommerzialisierung der Vergangenheit, andererseits aber auch durch kritische Rückblicke auf frühere Phasen des Erinnerns, in denen eine klare Instrumentalisierung des Schuldvorwurfs der Nachkriegsgeborenen gegen ihre Elterngeneration aufgedeckt wird. Die Erkenntnis leitende Motivation nachgeborener Generationen hatte teilweise, so der Vorwurf, mehr mit eigenen moralischen und politischen Projektionen als mit der Vergangenheit und ihren Akteuren selber zu tun. Das legt die Hypothese nahe, dass die literarische Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit mit zunehmender zeitlicher Distanz zum 2. Weltkrieg an Glaubwürdigkeit verlor. Dafür würde sprechen, und das macht den zweiten Teil der Untersuchung aus, dass viele unmittelbar nach Kriegsende publizierten und teilweise noch im Krieg verfassten Texte auf eine viel differenziertere Weise die sehr unterschiedlichen Grade der Verstrickung in das Böse offenlegten, als dies in späteren Jahrzehnten üblich war. Sie kannten vielfältige Möglichkeiten des Schuldig-Werdens und präsentierten sogar Situationen, in denen es unmöglich ist, nicht schuldig zu werden. Diese Einsichten in das moralische Dilemma der menschlichen Existenz, so die These des Artikels, gingen in den folgenden Jahrzehnten weitgehend verloren.
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